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Wann stirbt die letzte Lokalzeitung?

Fachleute diskutierten über die Perspektiven für einen neuen Lokaljournalismus im Ruhrgebiet

Hat Journalismus tatsächlich (noch) hohe gesellschaftliche Relevanz – oder nehmen sich Journalisten (immer noch) zu wichtig?

So ließe sich der erste Workshop „Perspektiven für den Journalismus an Rhein und Ruhr“ zugespitzt betiteln, zu dem sich mehr als 20 Chefredakteure, Wissenschaftler, Blogger und Öffentlichkeitsarbeiter im Impact Hub Ruhr trafen. Es sollte über nicht mehr (und nicht weniger) diskutiert werden als „Die Zukunft der Demokratie in Zeiten des Strukturwandels der Medien“.

Das von der Brost-Stiftung initiierte Projekt (Laufzeit bis 2020) soll eine Bestandsaufnahme der journalistischen Entwicklung im Ruhrgebiet liefern und daraus Rückschlüsse auf die politische Kultur ziehen. Dazu werden im weiteren Projektfortschritt die Bürger eingebunden, um gemeinsam mit den Medienmachern Formate zu entwickeln, die eine politische Partizipation der Menschen vor Ort verbessert. Es gilt vor allem Strukturen auf dem Nachrichtenmarkt Internet transparent zu machen, damit die Nutzer nicht hilflos subtiler Propaganda ausgesetzt sind.
Die Redaktionen bekommen jetzt die Rechnung für Versäumnisse vieler Jahre präsentiert. Warum muss es uns in sieben Jahren noch geben?

Dr. Jost Lübben (Chefredakteur Westfalenpost Hagen)

Dr. Helge Matthiesen, Chefredakteur des Bonner Generalanzeigers, gab die Eckpunkte für die lebendige, in einigen Beiträgen durchaus schmerzhafte, Debatte im topbesetzten Forum vor. „Die Lokalzeitung ist systemrelevant, weil sie den kommunalen Alltag von den Terminen der Müllabfuhr bis zu großen städtischen Planungsprojekten abbildet. Aber sie erreicht viele Bürger nicht mehr – wer füllt jetzt diese Lücke?“

Wissenschaftlich betrachtet fehlen noch Untersuchungen, um faktenbasiert in die Zukunft zu schauen. Professorin Dr. Wiebke Möhring vom Institut für Journalistik an der TU Dortmund zeigte dennoch einige bedenkenswerte Trends auf. „Das Kommunikationsrepertoire vergrößert sich ständig. Die Meinungsmacht im Internet führt zu einer Veränderung der politischen Öffentlichkeit.“ Gleichwohl bleibe Skepsis gegenüber der diffusen Quellenlage im Netz, höchste Glaubwürdigkeit werde immer noch öffentlich-rechtlichen Medien zugeschrieben. Obwohl nur noch ein einstelliger Prozentsatz junger Menschen deren Angebote nutzt!
Glaubwürdigkeit könnte eines der zukunftsweisenden Qualitätsmerkmale bei der Überlebensstrategie klassischer Medien sein. In einer Berliner Studie erklärten die Befragten, sich bei ihren Informationen zum Stadtgeschehen aus bis zu sieben Quellen zu bedienen.

Blogs gewinnen hier zunehmend an Bedeutung, Professor Dr. Matthias Kurp (Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln) kommt freilich in seiner Betrachtung von 93 verlagsunabhängigen Portalen in NRW zu der eher ernüchternden (aus Sicht der Zeitungen Hoffnung weckenden) Erkenntnis: „Blogger und Portale sind kein Ersatz für Lokalzeitungen, allenfalls eine publizistische Ergänzung. Und: Nur die wenigsten arbeiten rentabel!“
Das haben sie allerdings mit den Online-Aktivitäten der meisten Verlagshäuser gemeinsam. Hier liegt das Dilemma in Zeiten abstürzender Druckauflagen: Kostendruck zwingt beim Aufbruch ins Digitalzeitalter zum Sparen, Quantität und Qualität in den Redaktionen erodiert bedenklich.

Frank Bußmann (Leiter Pressestelle Stadt Dortmund) erzählt aus dem Alltag: „Die Zahl der Anfragen erhöht sich in den letzten Jahren massiv. Mit ihr die Anzahl der Journalisten, denen völlig die Kompetenz, beziehungsweise das Wissen um Strukturen in der kommunalen Verwaltung fehlt.“
Vielleicht wäre es am besten, sich am Beispiel der taz zu orientieren und das Ende der gedruckten Zeitung für 2022 festzulegen. Dann könnten sich alle Beteiligten darauf einstellen...

Ulli Tückmantel (Chefredakteur Westdeutsche Zeitung Düsseldorf)

Professor Bodo Hombach, als früherer Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe bestens vertraut mit dem Innenleben von Redaktionen, spricht sogar von „Selbstaufgabe“ als einer der größten Gefahren für Qualitätsjournalismus. Gemeint sei das „Aufgeben journalistischer Standards“ wie sie Hanns Joachim Friedrichs einmal formuliert habe: „Man darf sich nie mit einer Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten.“

Eine Gratwanderung, wenn Klickraten zum alleinigen Erfolgskriterium einer Geschichte definiert werden. Andreas Tyrock, Chefredakteur der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) in Essen, beschreibt die Herausforderung: „Die Lokaljournalisten müssen heraus aus der Komfortzone und sich mehr um ihre Kunden kümmern. Der Leser stellt doch täglich neu die Frage: Was habe ich vom Lokalteil, egal ob ich ihn online oder in Print nutze."
Freie, unabhängige Medien und kritisch nachfragende Journalistinnen und Journalisten sind für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft unerlässlich. Sie informieren, erklären, ordnen ein, bieten verschiedene Meinungen, aktivieren, kurz: Sie helfen, demokratische Öffentlichkeit herzustellen. Zudem haben sie eine wichtige Kontrollfunktion gegenüber den Mächtigen, weshalb die Massenmedien als "vierte Gewalt“ gelten.

Editorial zum Thema Qualitätsjournalismus bei der Bundeszentrale für Politische Bildung.
Mit dem „Projekt Bochum“ geht die WAZ neue Wege zur Einbindung der Leser.

In einer Fragebogenaktion (Rücklauf 1100 ausgefüllte Bögen) wurde nach den Themen gefragt, die Menschen vor Ort interessieren. Für Bürgernähe wurde eine Familie (drei Generationen) verpflichtet, der die Redaktion über zwei Jahre im Alltag folgt. Dem ausgesprochenen Wunsch nach mehr positiven Nachrichten wird mit einer wiederkehrenden Rubrik „Tour der guten Nachrichten“ entsprochen.

Tyrock: „Ob all diese Maßnahmen am Ende zum Erfolgsmodell werden, ist offen. Aber jede große Reise beginnt mit den ersten Schritten. Wichtig ist, endlich loszugehen!“

Die engagierte Diskussion, in deren Verlauf Andreas Löbbers noch die Digitalstrategie der Sächsischen Zeitung vorstellte, drehte sich immer wieder um die Fragen von Relevanz und Glaubwürdigkeit sowie den Widerspruch zwischen Sparzwang und Aufbruchstimmung.
Hinterfragt wurden schließlich viele Rituale im Miteinander von Lokaljournalisten und den von ihnen begleiteten Protagonisten. Ist eine Pressekonferenz wirklich noch zeitgemäß?

Viele Steilvorlagen für die weiteren Veranstaltungen im Rahmen des Projektes. Dessen gesellschaftliche Bedeutung Hombach im Kontext eines Gastvortrages an der Universität Potsdam von einer weiteren Seite unterstrich: Die Medien als „vierte Macht“ seien noch höher zu bewerten als die Legislative. „Die Angst der Mächtigen ist oft nicht, dass sie gegen ein Gesetz verstoßen, sondern, dass etwas öffentlich wird.“

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