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Stadtschreiber Vogelsang will hier nicht mehr weg

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Auf der Stadtschreiber-Zielgeraden gab sich Lucas Vogelsang noch einmal die volle Revier-Dröhnung. Borussia Dortmund gegen Bremen im Signal-Iduna-Park, als Kontrastprogramm am Sonntag „seine“ Hertha gegen den 1.FC in Köln. Und als Anfang Oktober die Umzugskisten im Lkw stehen, führt ihn der letzte Weg zu(m) „Steger“. Auf den Ruhr-Campingplatz mit Bootsanleger in Witten-Bommern, dorthin, wo Vogelsang vor einem Jahr begonnen hatte, über die Ruhr (und ihre Menschen) zu schreiben.

„Steger bildet für mich die Klammer meiner Arbeit im Ruhrgebiet“, erzählt der vielfach ausgezeichnete Autor („Heimaterde“). „Ich bin Peter Steger kurz nach meiner Ankunft an einem Wintertag zum ersten Mal begegnet, war wieder dort, als der Campingplatz zum Leben erwachte. Jetzt treffe ich ihn und seine Frau zum Abschied am letzten Nachmittag der Saison, nachdem er den Platz winterfest gemacht hat.“

Mit Steger beginnt auch das Magazin „Ruhr Gebiete“, in dem der scheidende Stadtschreiber, unterstützt von der Brost-Stiftung, seine Begegnungen mit „Menschen am Fluss“ (Untertitel) auf 130 Seiten festgehalten hat. Illustriert mit 100 Fotos von Philipp Wente, der die faszinierenden Gegensätze einer Region voll Schönheit und Schroffheit eingefangen hat.

„Der kennt die Gegend, der ist von hier, ein echter Ruhri. Der hat den gleich richtigen Blick.“ So beschreibt Vogelsang in der Geschichtensammlung, die Qualität seines Partners, sowie die gemeinsame Neugier, aus der ein besonderes künstlerisches Miteinander entstand. „Uns verbindet die Lust auf Geschichten, die große Freude an der Begegnung. An diesem einen Schritt hinein in ein fremdes Leben. Wenn es darum geht, nicht wegzuziehen, sondern dabei zu sein. Und dieses Dabeisein auch mal länger auszuhalten. In der Kneipe, am Sportplatz, im Eifer des Gefechts.“

Einblocker: „Wir haben versucht, ein Magazin zu gestalten, das im doppelten Wortsinn ständig im Fluss ist. Vom Ursprung bis zur Mündung der Ruhr, von Steger bis Duisburg.“

16 Geschichten aus fremden Leben erzählen die beiden, die Mitte Oktober im Handel erhältlich sein werden. Aus den zahllosen Begegnungen mit Bewohnern des Ruhrgebietes ist bei Vogelsang aber sehr viel mehr haften geblieben. „Neben den Menschen, die zu Geschichten geworden sind, ist zu vielen Leuten auch eine echte Freundschaft entstanden. Die Offenheit der Ruhris ist kein Klischee, sondern wahrhafte Realität. Durch die Verwurzlung mit den Menschen ist für mich hier auch ein Stück Heimat entstanden.“

Aus der er niemals mehr so ganz (weg) gehen will! „Ich habe mir in Bochum eine Wohnung gemietet, eine Bleibe, wenn es mich mal nach Bochum, Essen oder zum BVB zieht. Ein zweites Standbein neben Berlin, vielleicht stehe ich am Ende auch nur auf dreieinhalb Zehen hier. Aber das Ruhrgebiet lässt mich nicht mehr los.“

 

Einblocker:

„Die Frau von Steger hat in der Sommersaison so viele Kartoffeln für Kartoffelsalat geschält, dass ihre Hände noch ganz automatisch diese Drehbewegung machen, wenn sie jetzt auf dem Sofa sitzt.“

 

Welche Bilder und Eindrücke haben sich aus dem abgelaufenen Jahr besonders eingeprägt? Vogelsang: „Es ist die Dualität, mit der man auf engstem Raum ständig konfrontiert wird. In Schalke Nord oder Teilen von Duisburg denkt man: Das ist ja schlimmer, als ich erwartet habe. Und dann wird man beim Blick von der Ruhrbrücke in Mülheim Richtung Kettwig von der Schönheit der Landschaft erschlagen. In Dortmund kann man die Gegensätze fußläufig erleben, wenn man aus dem hippen Kreuzviertel zum Nordmarkt spaziert. Der Berliner würde sagen: Sexy, aber ärmer als man denkt!“

Am Beispiel eines doppelseitigen Fotos am Ende des Erzählbandes offenbart sich für ihn die ganze Faszination und Ambivalenz des Flusses sowie der Region, der er den Namen gab. Wir sehen die nebelverhangene Ruhr, Schemen von Bäumen und Silhouetten zweier Menschen (Wente und Vogelsang). Deutlich erkennbar steigt aber hinter dem Nebelgrau bereits die Sonne auf. Vogelsang: „Es war einer der ersten Herbsttage an der Ruhr. Kurz nach dem Fotoshooting ging die Sonne auf, ich konnte im Auto noch einmal das Dach aufmachen. Ich war so überwältigt, dass ich dachte: Da gehste kaputt!“

Beitext:

Lucas Vogelsang ist am 7. Oktober um 23:25 Uhr auf dem WDR zu sehen, im Rahmen einer Doku über den Stadtschreiber. Am 11. und 12. Oktober wird er Gast auf der Lit.Ruhr sein. Er liest am 13. Oktober noch in Neukirchen-Vlyn aus seinem Stadtschreiber-Band. Danach geht er mit Joachim Krol auf Lesereise für das neue Buch „Was wollen die denn hier? Deutsche Grenzerfahrungen“. Übrigens: Seinen Nachfolger Wolfram Eilenberger kennt er seit vielen Jahren, beide spielen in der deutschen Autoren-Nationalmannschaft. Nächster Gegner am Rande der Frankfurter Buchmesse ist Norwegen.