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Ruhrgebiet, hör auf zu jammern!

Bei der Ergebnisvorstellung des Projektes „Kommunikationsstress“ an der NRW School of Governance fordert Professor Jörg Bogumil radikales Umdenken Was hat die Menschen im Revier derart verändert? In einer neuen repräsentativen Umfrage von Infratest dimap im Auftrag der NRW School of Governance stimmten 86,5 Prozent der über 60-jährigen der Feststellung zu „Den Menschen im Ruhrgebiet kann man trauen“. Bei den jüngeren „Ruhris“ (16 - 29 Jahre) glauben dies aber nur noch 59,6 Prozent! Die im April 2018 durchgeführte und jetzt vorgestellte Erhebung ist Teil des von der Brost-Stiftung geförderten Projektes „Kommunikationsstress im Ruhrgebet: Die Gesprächsstörung zwischen Politikern, Bürgern und Journalisten“. Ein Team um Professor Dr. Karl-Rudolf Korte untersucht seit Herbst 2016 den massiven Vertrauensverlust von Medien, der von ebenso ausgeprägtem Misstrauen in die politischen Instanzen begleitet wird. Dies war im Ruhrgebiet lange anders, stellt Korte im Projektportrait fest: „Gerade das Ruhrgebiet charakterisierte man lange als Region, in der die lokalen politischen Eliten von der Bevölkerung als zentrale Vermittler im Sinne einer ‘basisnahen Stellvertretung‘ angesehen wurden. Sie waren Teil des Selbstbilds einer regionalen Gesellschaft der kleinen Leute. Die ökonomischen und sozialen Grundlagen dieses Modells verschwanden nach dem Strukturwandel der Region sukzessive“. Aber wie empfinden die Menschen an Ruhr und Emscher aktuell ihre Lebenswirklichkeit und welche Perspektiven bietet die Region tatsächlich? Was ist politisch und ökonomisch schief gelaufen? Einschätzungen dazu lieferte eine mutige und wohltuend offene Podiumsdiskussion am Rande der Ergebnispräsentation im Oktogon auf Zeche Zollverein. In deren Verlauf Professor Dr. Jörg Bogumil, Professor für öffentliche Verwaltung, Stadt- und Regionalpolitik an der Ruhr-Uni Bochum, mit einer steilen These aufweckte: „Ich war froh, als Opel in Bochum endlich weg war.“ Die meisten Zuhörer erinnern sich: 2.700 Opelaner hatten 2014 den Job verloren, als das Werk dicht machte. Bogumil legte nach: „Heute sind auf der Fläche doppelt so viele Arbeitsplätze. Es wird höchste Zeit, im Ruhrgebiet eine neue Identität zu stiften und mit dem Jammern aufzuhören.“ Robin Alexander, Chefreporter der „Welt“ machte das Gefühl, als Region abgehängt zu sein, auch am Versagen der SPD fest. „Stellen wir uns nur vor, die Energiewende hätte in Bayern ein Unternehmen wie RWE getroffen, das derart viel Geld in die Haushalte der kommunalen Aktionäre pumpte. Die CSU hätte sich so lange widersetzt, bis genügend Kohle als Ausgleich geflossen wäre. Man sieht, dass die SPD nicht mehr die richtigen Kämpfe führt.“ Nur ein Grund, warum sich immer mehr Menschen im Ruhrgebiet offensichtlich von der Politik abwenden. Laut der o.g. Umfrage glauben nur noch 14,7 Prozent der Menschen im Ruhrgebiet, dass sich „Politiker darum kümmern, was einfache Leute denken“.   Thomas Kutschaty, SPD-Fraktionschef im Landtag NRW, vermittelt auf dem Podium jedoch nicht den Eindruck, übermäßig alarmiert zu sein. Seine Zustandsbeschreibung kreist um das gefällige „vieles ist im Ruhrgebiet nicht so schlimm, wie überregional gerne wahrgenommen“ so wie das ebenfalls beliebte Wehklagen um den Wegfall von Industriearbeitsplätzen. Auf den Hinweis Bogumils, zeitnah siedle sich das größte deutsche Max-Planck-Institut im Ruhrgebiet an, mahnt er: „Viele Menschen werden davon nicht profitieren können, weil ihnen die Qualifikation fehlt.“ Das mochte Prof. Heinrich Theodor Grütter, Chef des Ruhr Museums in der Zeche Zollverein und vierter Teilnehmer in der von Professor Korte moderierten Debatte, nicht stehen lassen: „Baranowski meldet im zweiten Jahr in Folge einen Zuwachs an Industriearbeitsplätzen!“ Gemeint war Frank Baranowski, Gelsenkirchener Oberbürgermeister - von der SPD. „In den nächsten 10 bis 15 Jahren wird das gesamte Ruhrgebiet eine positive Entwicklung nehmen.“ Dazu fordert Professor Bogumil: „Ich bin froh über jeden Ingenieurjob im Ruhrgebiet. Wir brauchen mehr Ingenieure für eine bessere Durchmischung der Bevölkerungsstruktur. Es wurde viel Geld investiert, um die Menschen bestens abzusichern, die bei Opel den Job verloren haben. Jetzt müssen wir den Jugendlichen, die teilweise in Regionen leben, in denen um sie herum kaum noch jemand arbeitet, in aller Klarheit sagen: Ohne gute Ausbildung hast du keine Chance mehr!“