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Nr. 7: Barbie

Sie steht da mit ihrer Barbie, der ein Bein fehlt. Und ich sage mir: ein einbeiniger Kriegsveteran auf dem Schlachtfeld des Kinderzimmers, und schon bin ich unmerklich in einer anderen Geschichte gelandet. Ich schaue zur Mutter herüber, die neben dem Kiosk auf einem weißen Plastikbeutel von Aldi sitzt. Sie unterhält sich lachend mit einer Bekannten, während sie einen Säugling in den Armen wiegt. Auch die andere sitzt auf einer Plastiktüte. Um sie herum schlendern Menschen mit Eis, Waffeln, Pizza und Pommes-Tellern zu ihren Badetüchern, Stühlen und aufgeschlagenen Zelten zurück. Ja, einige sind mit Zelten ins Schwimmbad gekommen. Überhaupt scheint im Gruga-Bad jeder sein Eigenheim aufgebaut zu haben. Nur diese zwei Frauen sitzen auf Plastiktüten, die sie, kaum, dass sie aufgestanden sind, auch schon entsorgen werden. Inmitten der Opulenz diese kleine Enklave der Kargheit. Ich frage mich, welche Lebenserfahrung sie die Devise der britischen Marine gelehrt hat. “Light ist right” - Segeln mit dem Nötigsten, mit dieser Maxime eroberte die Royal Navy Weltmeere. Und diese zwei Frauen, haben sie Libyen überquert, in der spanischen Enklave in Marokko Grenzzäune übersprungen, in überfüllten Schlauchbooten auf dem Mittelmeer ihr Leben riskiert? Oder haben sie in Afrika einen Mann kennengelernt und ihre Aufenthaltsgenehmigung durch Heirat erhalten?   “Barbie ohne Bein, hinter all den Beinen vor dem Waffelstand im Gruga-Bad”, schreibe ich Jens, dem ich am Nachmittag das Foto schicke. “Ob ein oder zwei Beine, es bleibt ihre geliebte Barbie”, schreibt er zurück. “Aber findest Du nicht witzig, dass ein kleines schwarzes Mädchen mit einer weißen, einbeinigen Barbie spielt?”, hake ich nach. “Das habe ich gar nicht gesehen“, antwortet Jens „Und ihr scheint es auch Wurscht zu sein.”