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Nr. 14: Das Geld vom Minijob

Das Geld vom Amt rührt sie nicht an. Nur das Geld vom Minijob und auch da nur hundert Euro. Die hundert Euro, das gönnt sie sich, das ist ihr Vergnügen. Die anderen rauchen Zigaretten. Trinken Bier. Kaufen sich irgendeinen Mist. Die anderen machen was sie wollen; sie spielt halt. Nein, nicht jeden Tag. Ab und zu. Aber regelmäßig. Sie wischt dafür das Treppenhaus einer Firma. Sie putzt dafür vier Mal die Woche bei einem Ehepaar, beide in Rente und verdient sich auch bei einer Familie mit drei Kindern und einem Hund ihr Geld. Es ist nicht so, als würde sie das Geld irgend jemandem stehlen. So ist es nicht. Und wenn sie verliert, sagt sie sich: Dafür hast Du jetzt ein paar Hemden umsonst gebügelt und ein paar Treppen umsonst geschrubbt. Wenn sie Pech hat, reicht es für eine Woche. Wenn sie Glück hat, verteilt sie das, was rausspringt auf den Monat. Früher war sie Kellnerin. Dann hat sie Kinder bekommen. Früher war halt früher. Auch nicht besser. Auch nicht schlechter. Vor zehn Tagen hat sie 818 Euro gewonnen. Zweimal Minijob. Wie viele Hemden sie dafür hätte bügeln müssen, das weiß sie nicht. Gekauft hätte sie der Tochter einen neuen Anorak. Und dann halt ein wenig länger gespielt. Nein, Hobby ist das nicht zu nennen. Zeitvertreib halt. Wie die in der Bahn, die auf ihrem Handy herumspielen, um die Zeit totzuschlagen.

Ich frage sie, ob ich sie fotografieren darf. Nein. Vorname und Alter nennen? Auch nicht. Beschreiben? Kommt nicht in die Tüte. Ich schaue zur einzigen anderen Spielerin, einer Rentnerin, herüber, die trotz der Hitze eine Strickjacke trägt. Sie ist auf einen Sprung hereingekommen, der volle Einkaufstrolley steht neben der Maschine.

„Dann schreibe ich, dass sie kleine Hände haben, eine füllige Gestalt, schöne klare Gesichtszüge, graue funkelende Augen und lockiges dunkles Haar. Das ist die Beschreibung von Anna Karenina“, sage ich.

Warum ich sie beschreiben wolle, fragt Frau Karenina. Ich erzähle es ihr. 

„Ist das Glück hier?“ Sie sieht mich unverwandt an, dann deutet sie in den Raum, der von den grünen, blauen und roten Led-Lichtern der Maschinen erhellt wird. „Wenn Sie meinen“, sagt sie und wendet sich wieder ihrer Maschine zu.
Nachklapp

Als ich vor ein paar Monaten Isabelle, eine Fotografin aus Bordeaux, bat, mir Spielhallen abzufotografieren, erwiderte sie: „Du meinst bestimmt Trinkhallen.”

Ich hatte sie mit der Folklore im Ruhrgebiet vertraut gemacht.

„Nein“, sagte ich, „ich meine Spielhallen.“

Dann erzählte ich ihr vom neuen Glücksspielgesetz, das einen Mindestabstand von 350 Metern zwischen den Spielhallen und zu Schulen und Jugendtreffs vorschrieb.

„Sie haben nach einem Kniff gesucht, um Spielhallen zu schließen. Sie denken, dass sie so die Spielsucht eindämmen können“, sagte ich.

Isabelle machte sich mit ihrer Kamera auf die Suche. Nach zwei Tagen schmiss sie das Handtuch.

„Es gibt immer noch zu viele davon”, seufzte sie und wollte wissen, wo denn Arbeiter am Nachmittag die Zeit hernehmen. Wir saßen in dem Mühlheimer Haus, indem ich seit nun zwei Monaten wohnte, und aßen Ravioli.

„Der Arbeiter, mein Schatz“, erwiderte ich und schob mir eine zweite Portion Nudeln auf den Teller, „ist ein Relikt aus der Vergangenheit. Wie Trinkhallen, Zechen, Steiger und Lakritzschnecken für 10 Pfennig das Stück.“

Wer dann sein Geld verspielen würde.

„Arbeitslose“, sagte ich „Aus Langeweile.“

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