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Bericht über das Anneliese Brost Musikforum Ruhr in der „Welt am Sonntag“ vom 23. Oktober 2016

Neue Heimat von Regine Müller Nach jahrelangem Ringen ist das Anneliese-Brost-Musikzentrum in Bochum endlich fertig. Spielen sollen dort nur die Symphoniker. Steven Sloane hat es eilig. Mit großen Schritten geht der Generalmusikdirektor der Bochumer Symphoniker auf den Gebäudekomplex zu, der noch lückenlos von einem Bauzaun umgeben ist. Man erwartet eine Baustelle, doch erstaunlicherweise erscheint hinter dem Zaun das komplett fertiggestellte Musikzentrum. Es sind nur noch letzte Handgriffe bis zur Eröffnung am Freitag zu erledigen. Doch das ist nur eines der vielen staunenswerten Wunder, die sich in Bochum summiert haben. In kaum mehr als zweieinhalb Jahren Bauzeit und fast ohne Verzögerungs-Pannen entstand hier ein Musikzentrum, das zwei Säle bietet. Und als Besonderheit eine zum Foyer umgewidmete ehemalige Kirche. Das Ganze hat nur 37 Millionen Euro gekostet. Das ist gewiss nicht wenig Geld, aber für einen modernen Konzertsaal fast ein Spottpreis. Die Hamburger Elbphilharmonie wird mehr als 20 Mal so viel kosten. In Bochum wurde also kostenbewusst geplant. Dennoch gab es Widerstände gegen das Projekt, dessen treibender Motor von Anfang an Steven Sloane war. In der Stadt regte sich ein Bürgerbegehren, das einst immerhin 15.000 Unterschriften gegen den Bau sammeln konnte. Sie wollten ein "Millionengrab" verhindern. Zudem wurde von Fachleuten bezweifelt, ob in unmittelbarer Nähe zum Konzerthaus Dortmund und zur Philharmonie in Essen ein neuer Konzertsaal wirklich gebraucht würde und nicht vielmehr die gegenseitige Kannibalisierung der Häuser befeuern würde. Steven Sloane kennt natürlich alle Gegenargumente und winkt lässig ab: "Wir sind keine Konkurrenz für Essen und Dortmund. Denn wir machen ja gar kein Tourneegeschäft. Bei uns gastieren nicht die Wiener Philharmoniker, denn dieses Haus ist nur für unser Orchester, das nach seiner Gründung 1919 nun endlich eine Heimat haben wird. Und es ist für die Musikschule und die Bochumer Bürger gedacht." Seit 17 Jahren kämpft Steven Sloane für diese Heimat seines Orchesters, das bislang im Schauspielhaus mit staubtrockener Sprechtheater-Akustik oder im Audimax der Ruhr-Uni auftreten musste. Der Amerikaner kam 1994 nach Bochum, um das Amt des Generalmusikdirektors der Bochumer Symphoniker anzutreten. Sloane kann auf ein internationales Renommée verweisen, aber offenbar begreift er die vergleichsweise unglamouröse Arbeit in Bochum als seine Lebensaufgabe. Seine ambitionierten Konzertprogramme kassierten mehrfach Preise für ihre kluge Dramaturgie, er ist ein nimmermüder Fürsprecher für die Neue Musik, wird auch häufig als Gastdirigent für kniffelige Programme gebucht und gehörte 2010 zur künstlerischen Leitung des Kulturhauptstadtjahrs Ruhr 2010. Für den neuen Konzertsaal putzte er jahrelang Klinken, bettelte um Geld, ideelle Unterstützung und den Rückhalt in der Bürgerschaft. Als wir die Baustelle betreten, besteht Sloane darauf, genau den Weg zu nehmen, den die Besucher passieren, wenn sie ins Konzert gehen: durch den Chor des Kirchenschiffs der ehemaligen St. Marienkirche, die bereits 2002 profaniert wurde, und langsam verrottete. Nun ist der neogotische Raum mit Fresken aus den 50er-Jahren mustergültig saniert und bildet die Mitte des Gebäudeensembles. Entgegen der ursprünglichen Ausschreibung entschied sich der Wettbewerbs-Siegerentwurf des Stuttgarter Architekturbüros Bez + Koch dafür, dem Raum nicht eine multifunktionalen Veranstaltungs-Logik aufzuzwingen, sondern konzipierte ihn als Foyer, in dem sich lediglich die Kassen und die Garderoben befinden. "Man ist gleich in einer anderen Welt", benennt Sloane die Atmosphäre des Raums. Die spirituelle Aura des Ortes wurde bewusst aufgenommen, hoch oben hängt eine der Kirchenglocken, die Konzertbeginn und Pausen einläuten wird. Bereits im Foyer begegnet man den ästhetischen Leitmotiven des Gesamtkonzepts: dem hellen, rötlich schimmernden Holzton amerikanischer Kirsche und mattem, roh wirkenden Metall. Im Sinne eines dramaturgischen Crescendos führt Sloane vom Foyer zunächst in den kleinen Saal: 300 Plätze fasst der kompakt wirkende Raum, der in vielfältigster Weise genutzt werden soll. "Das ist eine richtige Blackbox", sagt Sloane. Hier wird die städtische Musikschule proben und diverse Chöre. Flexible Wände und Fensterverkleidungen ermöglichen von der Filmvorführung über den Kongress bis hin zur Tanzparty fast alles, was denkbar ist und gebraucht wird. Dann geht es in den großen Saal: Unwillkürlich holt man Luft, denn die schlichte Schuhschachtel-Architektur wirkt weit und intim zugleich. Wieder bestimmen die sanften Holztöne das ästhetische Klima, an den Ecken ist der Saal gerundet, wodurch der Eindruck einer umarmenden Geste entsteht. 964 Plätze fasst der Saal, eine mittlere Größe also. Das für das sinfonische Kernrepertoire erforderliche Volumen liefert die raffinierte Deckenkonstruktion: Einander sich kreuzendes Holzstäbe erinnern an ein überdimensionales Mikado-Spiel, darüber sind noch einmal 2000 Kubikmeter Volumen versteckt, sodass der Saal insgesamt auf komfortable 14.000 Kubikmeter kommt. Ein Testkonzert mit Zuschauern im Saal brachte bereits Gewissheit: Die Akustik funktioniert. "Wir müssen nicht mehr forcieren", freut sich Sloane. Das war der eigentliche Grund für die Anstrengungen. Ein Orchester kann erst aufblühen, wenn die Akustik freundlich ist und es erlaubt, dass die Musiker sich gegenseitig hören. Das wird nun möglich sein. Seit 17 Jahren gab es zahlreiche Anläufe, dieses Musikzentrum auf die Beine zustellen. Erst sollte es an die Bochumer Jahrhunderthalle angedockt werden, dann wurde der Plan auf Eis gelegt. Es wurde eine Machbarkeitsstudie zu vier unterschiedlichen Orten in Auftrag gegeben. Doch immer wieder stagnierten die Pläne. Dann aber traf Steven Sloane den Lotto-Unternehmer Norman Faber, der ihm überraschend fünf Millionen Euro in Aussicht stellte. Unter der Bedingung, dass weitere zwei Millionen Euro an privaten Geldern aufgetrieben würden innerhalb von drei Monaten, der Saal in die Innenstadt gebaut würde und auch die Stadt innerhalb dieser Zeit im Boot zu sitzen habe. Das war der Dammbruch. Insgesamt kamen daraufhin rund 14 Millionen Euro durch private Spenden zusammen. "Dieses bürgerschaftliche Engagement konnte man einfach nicht mehr ignorieren", beschreibt Sloane den Rückenwind, den das Projekt nun hatte. Die jetzige Lösung scheint ein Glücksfall, auch ihre urbane Lage zwischen der Party-Meile Bermuda-Dreieck, dem Schauspielhaus und dem Viktoria-Quartier. "Das Musikzentrum ist genau das, was diese Stadt braucht." Den Namen verdankt das Musikzentrum einer weiteren Groß-Spende der Brost-Stiftung, die von der ehemaligen "WAZ"-Verlegerin Anneliese Brost gegründet wurde. Inzwischen sind auch die kritischen Stimmen in der Stadt fast verstummt. "Die Leute merken, dass wir hier keine Elitekunst machen, sondern für alle Bürger da sind. Kunst ist ja auch Bildung! Das ist wichtig für die Community und für die ganze Region."

Wie ein Mikadospiel: Aussicht auf den großen Saal des Musikzentrums