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Nr. 35: Weil Liebe fließt

(Miriam, 59) Seit sie acht Jahre alt ist, verbringt sie ihre Urlaube auf der Insel Baltrum. Und seit sie acht ist, erfüllt sie der weite Himmel dort mit Ehrfurcht, kommt sie zur Ruhe, wenn sie sich umgeben vom Wasser inmitten der Natur weiß. An ihr Erstaunen damals als Kind, als sie das erste Mal die satten Farben auf Baltrum sah, erinnert sich Miriam, die neben Zeche Auguste Victoria aufgewachsen ist, auch heute noch. Zu Hause waren alle Häuser mit einer feinen Rußschicht überzogen, herrschte als Grundton grau. Wie grün erschien ihr da das satte Grün der Wiesen, wie rot die roten Dachziegeln, wie blau das Wasser und der Himmel. Auf Baltrum explodierten die Farben. Auch einatmen wurde zur sinnlichen Erfahrung mit der Seeluft, die einen trunken machte. Beim letzten Urlaub, den sie dort wie üblich alleine verbrachte, um „ohne Ablenkung auf sich selbst zurückgeworfen zu sein“ - schickte sie der 93-jährigen Mutter eine Ansichtskarte, die sie zu frankieren vergaß. Der Gruß kam auch unfrankiert sicher an. Die Postboten lasen die herzlichen Worte und leiteten die Karte einfach weiter, „weil Liebe auch ohne Briefmarke fließt.“