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Mitten im Ruhrgebiet! Familienrat spricht Todesurteil aus

Essener Polizei verhinderte Vollstreckung. Polizeichef Frank Richter spricht vor Symposium zur Inneren Sicherheit von 15.000 Angehörigen krimineller Clans Haben wir im Kampf gegen Terror und organisierte Kriminalität noch eine Chance? Essens Polizeichef Frank Richter etwa spricht in seinem Verantwortungsbereich inzwischen von „mindestens 15.000 Mitgliedern kurdisch-arabischer Großfamilien, die sich in Vielzahl kriminell organisieren“. Die Essener Polizei musste jüngst die Vollstreckung eines Todesurteils verhindern, das ein Familienrat ausgesprochen hatte. Und die Familie wollte es ausführen. Eine Expertenrunde wird sich am 29. November in Essen mit dem Thema „Prävention – ein Weg in die Sackgasse?“ auseinandersetzen. Darunter der Kriminologe Marcus Kober (Thema: „Prävention – aber richtig“) sowie der Islamismusforscher Dr. Marwan Abou-Taam. Er stellt die Frage: „Islamismusprävention – geht das?“. Kriminalhauptkommisar Mark Steffen Daun führt das „Landespräventionsprogramm Kurve kriegen“ vor und der Zeit-Autor Bastian Berbner versucht eine Antwort auf die Frage „Verantwortungsvolle Berichterstattung über Terrorismus – eine unmögliche Aufgabe?“ zu geben.   Im Vorfeld erläutert Mitorganisator Frank Richter im Interview Grenzen und Chancen präventiver Polizeiarbeit.   Beim Symposium „Prävention – ein Weg in die Sackgasse?“ stellen Sie den Sinn vorbeugenden Polizeiarbeit in Frage...   Frank Richter: „Ja, aber in einem erweiterten Verständnis von Präventionsarbeit. Wenn wir Vorbeugung rein technisch betrachten, kann Ihnen ein Polizeibeamter in gut zwei Stunden helfen, Ihr Haus einbruchsicher zu machen. Wir wollen jedoch die Verhaltensprävention diskutieren. Dieser Bereich ist eng mit Integration verknüpft. Weil diese in weiten Teilen fehlgeschlagen ist, sind Parallelwelten in unserer Gesellschaft entstanden, mit Familienräten, eigenen Friedensrichtern und eigenen Gesetzen. Die Essener Polizei musste jüngst die Vollstreckung eines Todesurteils verhindern, das ein Familienrat ausgesprochen hatte. Und die Familie wollte es ausführen. Schätzungsweise kann man davon ausgehen, dass in Essen und Mülheim mindestens 15.000 Mitglieder kurdisch-arabischer Großfamilien mit Clanstrukturen leben und sich eine Vielzahl kriminell organisieren. Wir müssen uns die Frage stellen, wie die Polizei künftig mit diesen Herausforderungen umgehen soll.“   Gibt es bereits konkrete Antworten? Richter: „Wir versprechen uns sehr viel von der in Essen 2017 gegründeten Initiative „Innerbehördlicher Koordinierungskreis“, kurz IBK. In diesem arbeiten Polizei, Zoll, Finanzverwaltung NRW sowie die Städte Essen und Mülheim zusammen gegen kriminelle Clans und die tägliche Gewaltbereitschaft in gesellschaftlichen Parallelstrukturen. Die Kooperation unterstützt polizeiliche Maßnahmen zum Beispiel durch Beschlagnahme von Barmitteln aus illegalen Geschäften, Sozialbetrug als weitere Einnahmequelle wird effizienter bekämpft. Wir wollen Straftätern das Leben so unangenehm wie möglich machen, indem wir den Kontroll- und Fahndungsdruck erhöhen.“   Also kein Weg in die Sackgasse? Richter: „Ich stelle einmal eine Gegenfrage. Angenommen, das IBK-Konzept geht auf, dann werden wir den kriminellen Clans in den nächsten sechs bis acht Jahren die wirtschaftliche Grundlage entziehen können. Aber damit sind doch die Menschen nicht weg, wie gehen wir mit ihnen weiter um? Wir müssen Integration völlig neu denken! Und darüber hinaus gerade im Bereich der Gewaltprävention wirksame Maßnahmen gegen den Werteverfall in unserer Gesellschaft ergreifen.“   NRW-Innenminister Herbert Reul hat in einem BILD-Interview die zunehmende Respektlosigkeit gegenüber Polizeibeamten beklagt. Was erleben Sie im Alltag? Richter: „Bei alltäglichen Einsätzen wurden Polizeibeamte bedrängt oder provoziert, manchmal können schlichte Personalfeststellungen oder Platzverweise nur durch zusätzliche Kräfte durchgesetzt werden. Auf der anderen Seite haben wir eine wachsende Zahl jugendlicher Intensivtäter zwischen 14 und 15 Jahren, die sich schon einmal quer durch das Strafgesetzbuch „gearbeitet“ haben. Von Einbruch bis zu Körperverletzung oder Nötigung und Erpressung. 20 Prozent der Straftäter begehen im Bereich Jugendkriminalität 80 Prozent der Straftaten.“   Also Prävention schon früh gescheitert ...? Richter: „Das hängt davon ab, wie man Erfolg und Misserfolg definiert. Mit dem Programm „Kurve kriegen“ bringen wir rund 50 Prozent der straffälligen Jugendlichen auf den geraden Weg zurück. Aber auch hier kann nur eine enge Zusammenarbeit von Polizei, Sozialarbeitern, Jugendamt und Justiz weiterhelfen. Das versuchen wir seit März im Essener Haus des Jugendrechtes. Ganz wichtig ist, dass die jungen Menschen schnell auf den Stuhl gesetzt und mit den Konsequenzen ihres Handelns konfrontiert werden. Wenn nach der Straftat Monate bis zum Prozess vergehen, ist das Schuldbewusstsein schon verflogen.“   Beim Symposium wollen Sie weitere Akteure zum Beispiel aus Wissenschaft und Medien einbinden ... Richter: „Prävention ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Die beschriebenen Phänomene sind begünstigt durch das völlige Wegbrechen sozialer Regulative. Wir haben in den letzten Jahren fast alle moralischen Instanzen geschleift, unser Wertefundament zerbröselt völlig. Dagegen braucht es einen Generalplan. Politik und Gesellschaft müssen nicht nur den jungen Menschen wieder Leitplanken für ihr Handeln vorgeben. Den Begriff wähle ich bewusst, weil jeder Leitplanken kennt und weiß, wie sie wirken: Sie sind nicht dehnbar! Verhindern aber zum Beispiel auf der Autobahn Frontalzusammenstöße mit dem Gegenverkehr.“     Das Symposium „Prävention – ein Weg in die Sackgasse?“ ist die zweite Veranstaltung im Rahmen der Reihe „Das Ruhrgebiet – ein sicheres Stück Deutschland?“, durchgeführt vom Gesprächskreis Innere Sicherheit NRW und der Brost-Stiftung. Die für alle Interessierten offene Diskussion findet am 29. November 2018 von 10.00 - 15.00 Uhr im Tagungs- und Stadthotel Franz, Steeler Str. 261, 45138 Essen statt.